Foreword
Schatten des Augenscheins–Nachtstücke von Barbara Navi
Acclimater l’ombre. La laisser affleurer.
Dans ce milieu nimbé du contour indécis des rêves,
peindre les yeux grands fermés.
Restant voilée, cette quasi-vision confère
un faux air d’innocence aux désirs terribles de l’humanité.
Barbara Navi
Nicht im Sinne realer Schatten, sondern als Auslotung des Verborgenen, Obskuren, im Dunkeln Liegenden, das erst ans Licht befördert werden muss, ist der Titel zu verstehen, den Barbara Navi für ihre Schau gewählt hat. Die französische Malerin begibt sich auf die Suche nach dem, was versteckt und unzugänglich bleibt: Zeigen, was man nicht sehen kann, oder nicht zeigen, was dennoch zu sehen ist – so könnte der widersprüchliche Leitsatz zu ihren jüngsten Bildern lauten, die die Pariser Galerie Estace in der Leipziger Spinnerei ausstellt.
Barbara Navis Gemälde geben Rätsel auf – Ratlosigkeit und Unverständnis, aber auch Beklemmung und Unwohlsein stellen sich beim Anblick eigentlich vertrauter Szenerien ein. Wie ein Stacheldraht baut sich der Abakus vor dem jungen und plötzlich so verletzlich wirkenden Mädchen auf, droht sich einzubohren in ihr Gesicht, changiert zwischen Spiel und Gewalt, Unschuld und Bedrohung (L‘infans). Ein ähnliches Unbehagen bereitet der skurrile Anblick einer zerfließenden Geburtstagstorte (Célébration).
Schrift und Deckenmuster werden zu blutroten Spuren – soll hier ein Leben oder gar ein Lebensende zelebriert werden?
Das Flüssige, Fließende der Formen und Farben ist für Barbara Navi elementar. Väterlicherseits lautet ihr Familienname Sieuzac, was im Altfranzösischen
soviel wie Sourcier, Quellenschöpfer, bedeutet. Die Quelle als Bildmetaphersowohl für das Ursprüngliche, sich aus dem Inneren beständig seinen Weg Suchende, als auch das permanent seine Formen Verändernde, das die Malerei auf der Leinwand einfängt, bestimmt Barbara Navis Verhältnis zur Welt. Ihre Werke bringen das Instabile, Unordentliche in eine vorübergehende, wenngleich unscharfe und dialektische Form.
Barbara Navi bezieht sich auf Nietzsches Zarathustra, um das Überbordende ihrer inneren Bilder zu beschreiben : “Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären.”
Immer wieder stellt die Künstlerin unser Vermögen in Frage, Dargestelltes mit Gewissheit zu erfassen, unaufhörlich kratzt sie am Vertrauen zu unserer eigenen Wahrnehmung. Nicht nur in Prémices arbeitet sie etwa mit extremen, ins Bild gesetzten Größenverschiebungen und lässt den Betrachter optisch in die Irre gehen. Wer sind die jungen Frauen und Arbeiter, die über einem Tisch gebeugt hantieren, eine Ebene, die sich auf den zweiten Blick als iniaturlandschaft auf stählernen Stützen erweist? Wer ist der Mann, der im Garten unter Pinien unweit seines hell erleuchteten Hauses wie ein Riese in einer verlassenen und verödeten Landschaft steht, die von Yves Tanguy inspiriert sein könnte (Nuit et jour)? In einem Bild entdecken sich immer mehrere Bilder. Geradezu wie im Traum erlebt der Betrachter Szenerien wie Eau trouble, wo man sich im Vordergrund auf einem Steg am Wasser zum Picknick zu versammeln scheint, während dahinter die Fabrikgerüste in Flammen aufgehen.
Navis Themen sind meist, in der Baudelaireschen Tradition der Moderne, Szenen des städtischen Lebens. Dieses ist für die Künstlerin als Generator inspirierender Energien so anregend, dass sie tausende von Fotos macht, die ihrden Weg zu ihren Gemälden bahnen. Sie dienen als imaginäre Vorratskammer für die Entstehung späterer Bilder auf der Leinwand. Doch Barbara Navi collagiert nicht im wörtlichen Sinne. Es sind einzelne, den Fotos entnommene Motive oder Formen, die in eine Papierskizze übersetzt und schließlich auf die großformatige Leinwand übertragen werden. Selten entstehen auch Vorstudien 1 Gespräch mit der Künstlerin, Paris, 17. Juli 2013.
in Öl (Le foyer). Erste Ideen zu ihren Bildern, die sie später auf der Leinwand weiterentwickelt, schöpft sie so aus dem urbanen, täglich beobachteten ilieu. Die Künstlerin, die sich außer der École Boulle und einem Philosophiestudium an der Sorbonne vor allem durch das Kino, u.a. Filme von Ingmar Bergman und Friedrich Murnau, und insbesondere durch unzählige Museumsbesuche und Stadtgänge geschult hat, stammt selbst aus Malakoff.
Der kleine Arbeitervorort im Süden von Paris verteidigt bis heute eines der letzten kommunistischen Rathäuser der Ile de France. Ist das industrielle Milieu in zahlreichen Bildern präsent, so schreibt sich die enge Verbindung zum Urbanen in nahezu alle Werke ein. Oft wirken die Menschen klein im Verhältnis zur übermächtigen Architektur der Häuser und Fabriken. Dann wieder erinnert die Einsamkeit der Personen an Porträts von Hopper oder Bacon, doch in eine ungleich komplexere Matrix von Größenverhältnissen und Bildaufbau übertragen.
Wie kommt es, dass diesen Szenerien, in denen sich unablässig Gefahr und Bedrohung andeuten, ohne je konkret zu werden, trotzdem etwas Sanftes, Weiches anhaftet? Barbara Navi selbst betont die Begriffe Douceur und Voile. In der Tat liegt eine Art Schleier über ihren Bildern, die Farbigkeit ist gedämpft wie hinter einem durchsichtigen Vorhang oder Milchglas, das die Konturen verschwimmen lässt.Die Palette mal warmer, mal kalter und stets verhaltener Braun-, Rot-, Blau- und Grautöne mag die Ambivalenz der Bildsprache, faktisch wie motivisch, noch verstärken.
So ist in Navis Gemälden das Verhältnis zur Wirklichkeit wesentlich von Unschärfe bestimmt. Figuren und Gegenstände lösen sich auf, scheinen wie für einen kurzen Moment herausgerissen aus einem Traum, dessen Szenerie sich im nächsten Augenblick schon wieder verändert. Das hat nichts von einer Husserlschen Prolepsis, deren Wahrnehmungsprinzip zufolge uns mit einem Bild immer schon das nächste vor Augen steht. Barbara Navis Kompositionen sind wie aus dem hichts gegriffen. Es sind Geisterbilder, die nur in der Vorstellung aufblitzen und gleich darauf für immer verschwinden. Sie erzählen keine Geschichten und eröffnen dennoch eine Welt voller Geheimnisse. Man versteht, dass David Lynchs und Tarkowskis Schnitte und Montagen für die Künstlerin wichtige Leitbilder sind. Was dem Regisseur das Set ist, wird der Malerin zur Leinwand – ein Ort, an dem alles, erst recht das Unmögliche, möglich wird, um sich einem letzten Verstehen zu entziehen. Das Element des Instabilen und Kippenden lässt sich, besonders in den Bildern jüngster Zeit, auf eine stärkere Verbindung von figurativen und abstrakten Formen zurückführen. Ihre Balance setzt ein assoziatives Spiel in Gang, dem sowohl der Betrachter, als auch die Künstlerin während oder gar erst nach dem Malprozess ausgeliefert sein können.
So zeigt das Gemälde Scène eine Wand mit einem Bild im Bild, das den Blick auf eine felsige Seenlandschaft freigibt – oder handelt es sich doch um einen
Ausblick durchs Fenster? Auf dem Boden liegen allerlei Dinge – Papiere, eine Vase, Kleidungsstücke, umgestoßene Möbel, ein Kinderwagen – oder sind es
am Ende nicht mehr als bloße Farbflecken? Figuration und Abstraktion, Innen und Außen scheinen zu verschmelzen und führen aus der Gegenständlichkeit
ebenso hinaus wie sie auf Gegenständliches verweisen. Derjenige, der etwas Bestimmbares, Verbindliches sehen möchte, wird auch hier wieder enttäuscht.
Eine eigenartige Nähe verbindet die französische Malerin mit der Tradition der deutschen Romantik. So erinnert das Andeutende, zwischen Wirklichkeit und Traumwelt changierende und Sicherheiten infrage Stellende ihrer Malweise an die Novellen eines E.T.A. Hoffmann, in denen die Grenze zwischen Traum und Realität, Normalität und Absonderlichkeit ebenso verschwimmt.Auch ihre Vorliebe für Nachtbilder, in deren Dunkelheit die meisten ihrer Arbeiten getaucht sind, entspricht der romantischen Präferenz für das Nachtstück, in dem Phantastisches und Realistisches ineinander auf- und übergehen.
Schließlich denkt man angesichts dieser verunsichernden Traumwelten nicht zuletzt an Caspar David Friedrichs Maxime: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ Es ist der von der Innensicht gesteuerte Zugriff auf die Wirklichkeit, der die Brücke dieser Kunst zu den Bild- und Geisteswelten des frühen 19. Jahrhunderts schlägt. Die verstörende Bildsprache des Werks gibt schließlich essentielle Fragen auf. Die Künstlerin selbst verweist auf Platons Höhlengleichnis als Sinnbild einer Grunderfahrung im Verhältnis zur Welt. Ausgehend von Erscheinungen und Ereignissen aus dem Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren, den der Philosoph einst mit einer Höhle verglich, untergräbt sie mit jedem ihrer Gemälde die Verlässlichkeit unserer Wahrnehmung. Am Ende bleiben Zweifel und Unbehagen – und die Nacht- und Schattenseiten der menschlichen Natur verharren in ihrer geheimnisvollen Unbestimmtheit.
– Julia Dros
Artworks
Biography
Barbara Navi vit et travaille à Paris
Expositions personnelles
2015 : A pas feutrés, “le 56”, Art sous x, Paris
2014 : Eaux troubles, commissariat Nathalie Viot, 24 Beaubourg, Paris
2013 : La part d’ombre, Baumwollspinnerei, Leipzig
2012 : Vertige, 24 Beaubourg, Paris
2011 : Antichambre, Médiathèque Pablo-Neruda, Malakoff
2010 : Errance, Galerie Pierrick Touchefeu, Sceaux
2008 : Sanctuaire des minuscules, Fat Galerie, Paris
2005 : Mémoire urbaine, Galerie Xavier Sequier, Paris
2004 : Nocturne, Galerie Cathay, Paris
Expositions collectives :
Summer Show, Leipzig-Baumwollspinnerei, 2013
Pour la paix, Médiathèque Pablo-Néruda, Malakoff 2013
Group Show, 24 Beaubourg, Paris 2013
Regards croisés, Espace Michelet, Athis-Mons 2012
Fuir là-bas, dessins et collages, centre cultrurel, Lino Ventura, Athis-Mons 2012
What do you think about nature ?, commissaire Iléana Cornea, galerie 89, Paris 2011
Æncrage, œuvre sur papier et installation, espace Michelet, Athis-Mons 2011
Un moment de suspension, A la marge.K, Malakoff 2011
Artistes pour la paix, Malakoff 2011
The Shape of time, From Micropolis to Metroplis, Biennale d’art contemporain, Yeosu, Corée 2010
1001 notes, Saint-Robert, Limousin 2010
L’œil neuf, espace Christiane Peugeot, Paris 2009
Salon d’art contemporain, Montrouge 2008
Artistes pour la paix, Malakoff 2008
Salon d’art contemporain de Montrouge 2007
Summer Show, Fat Galerie, Paris, juillet 2007
Exposition Prix Antoine Marin, parrainage Sam Szafran, Arcueil 2007
Art et cigare, SIMAA, comissariat G. Xuriguéra, Beyrouth, 2001
Promesses années 2000, comissariat G. Xuriguéra, Espace Belleville, Paris, 2000
Presse :
– Franckfurter Allgemeine Zeitung, 2013
– Artension, 2011
– Azart, 2011
– Sud-ouest, 2010
– Harper’s Magazine, 2009
– 92 Express, 2009
– Art et décoration, 2009
– Métro, 2007
Publications :
La part d’ombre, catalogue de l’exposition , Baumwollspinnerei-Leipzig, texte de Julia Drost, historienne de l’art, 2013
Antichambre, éditions Nolin, texte de Philippe Renault, journaliste revue Cassandre, entretien Nicolas Franck, enseignant de l’esthétique, université Paris III, 2012
Qu’est-ce que vous pensez de la nature ?, texte d’Iléana Cornea, Séoul-Paris, 2011
From Micropolis to Metroplis, Biennale d’art contemporain, Yeosu, Corée, 2010
Découvertes 2008, catalogue du salon de Montrouge, Montrouge, 2008